Publikum aktiv ins Gespräch eingebunden

Evangelische Kirchengemeinde: Erstes Nachtcafé im Gemeindehaus behandelt Fragestellung „Glauben wir alle an den selben Gott?“

Neulußheim. Neue Wege beschritt die evangelische Kirchengemeinde bei einer Diskussionsveranstaltung mit der pointierten Fragestellung „Glauben wir alle an den selben Gott?“ Eingeladen waren der frühere Landesbischof Dr. Ulrich Fischer und Dr. Bekir Alboga, Generalsekretär der DITIB in Köln. Die gleichfalls eingeladene Pfarrerin Ilka Sobottke aus Mannheim musste kurzfristig aus Gesundheitsgründen absagen. Moderiert wurde die Diskussionsrunde durch den früheren Dekan von Weinheim, Günter Eitenmüller.

Soweit war die Ausgangslage klar: auf der einen Seite der frühere Chef der Protestanten in Baden, auf der anderen ein prominenter Vertreter der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ – auf türkisch kürzt sich der Name des Verbandes mit DITIB ab. Der DITIB ist ein bundesweiter Dachverband für die Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen türkisch-islamischen Moscheegemeinden.

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Starre Diskussionsrunde vermeiden

 Doch an dieser Stelle brach die evangelische Kirchengemeinde mit der Tradition, wie Kirchengemeinderätin Hannelore Schneider in ihrer Begrüßung bewusst machte. Eine starre Diskussionsrunde, wie man sie aus vielen Talkrunden im Fernsehen kennt, sollte vermieden werden, Vorbild war hingegen eine Sendung im SWR, die dem Abend auch den Namen gab – es war das erste „Nachtcafé“ im Gemeindehaus. Nimmt man den Erfolg der Veranstaltung als Gradmesser, bestimmt nicht das letzte.

Nachtcafé, das bedeutet eine lockere Gesprächsrunde und ein Publikum, das um kleine Tische gruppiert war – auf diesen brannten heimelig Teelichter und standen Getränke und Gläser – kurzum, eine fast familiäre Atmosphäre, obwohl der Saal mit über 100 Gästen sehr gut besucht war. Hinzu kam Organist Gerhard Müller, der den Abend immer wieder mit Filmmusiken am Flügel auflockerte.

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Ein Unterschied zum Nachtcafé gab es dennoch – das Publikum wurde in die Gesprächsrunde eingebunden, war aktiver Bestandteil des Abends und trug somit zum Gelingen seinen Teil bei. Doch bevor die Thematik der Veranstaltung, die Frage nach dem einen Gott, im Dialog von Publikum und Experten vertieft wurde, erläuterten Fischer und Alboga die Eckpunkte, innerhalb derer sich ihr Glauben bewegt.

Fischer ging in seinem Statement auf die gemeinsamen Wurzeln von Juden, Christen und Muslimen ein. Gemein wäre ihnen, an einen Gott zu glauben, der die Welt erschaffen habe, trennend sei die Person von Jesus Christus. Während die Juden noch auf den Messias warteten, sei er für die Christen Gottes Sohn und für die Muslime einzig ein Prophet. Doch der gemeinsame Nenner Gott, für die Muslime Allah, sei stark genug, dass gläubige Menschen bei Themen wie Schöpfung, Anbetung oder Erntedank gemeinsam beten könnten.

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Nicht nur die Person Jesus unterscheidet Christen und Muslime, auch die Dreieinigkeit, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist dem Islam fremd. Es gebe nur einen Gott, Muslime würden die Trinitätslehre nicht verstehen, stellte Alboga dazu fest. Und auch das Wort Gottes ist eine Trennlinie. Für die Muslime hat Gott, oder Allah, den Koran Mohammed salopp gesagt diktiert, für die Christen ist die Bibel die schriftliche Form einer jahrhundertelangen mündlichen Überlieferung, die nur durch den Geist Gottes lebendig werde.

Alboga ging auch auf die Konflikte innerhalb des Islam ein, die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten, Sunniten und Aleviten, für die er sich schäme. Nicht einverstanden war er mit der Politik von Präsident Erdogan, auch wenn er einen Beitritt der Türkei in die EU begrüßt und als Chance verstanden hätte.

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Von Erdogans Politik distanziert

Der Generalsekretär nutzte die Gelegenheit, sich von der Politik Erdogans zu distanzieren, er sei der Vertreter einer Religionsgemeinschaft, nicht der Vertreter der türkischen Politik. Alboga sprach sich für den interreligiösen Dialog aus, gegen fundamentalistische Theologie und für ein friedliches Miteinander. Dem konnte Fischer nur zustimmen. Für ihn wird die Ökumene nicht aus Lehrinhalten gebildet, sondern über das geistliche Leben in den Gemeinden geprägt.

An dieser Stelle war Gelegenheit für eine Pause, eine Stärkung beim reichhaltigen, von den Frauen der Gemeinde angerichteten Häppchen-Büffet, bevor in einer zweiten Runde die Themen im Gespräch vertieft wurden. Dabei ging es stellenweise ins Detail und wurden einige Vorurteile ausgeräumt. Beispielsweise das Thema Kopfbedeckung, das nicht nur im Islam, sonder auch bei den Christen religiöse Bedeutung hat, wie Fischer betonte.

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„Gut organisiert“, „ein Highlight“ und „selten eine Talkrunde auf so hohem und guten Niveau gesehen“, waren nur einige der Kommentare, die den Initiatoren am Ende zeigten, dass sie mit ihrem ersten Nachtcafé einen Nerv getroffen hatten.

© Schwetzinger Zeitung, Mittwoch, 30.11.2016