Lebendiger Kirchturm

Ev. Kirchengemeinde Neulußheim
Zertifikat „Lebendiger Kirchturm“ durch NABU verliehen

Im Oberstübchen der Evangelischen Kirche piept es. Das ist in diesem Fall aber keine Beleidigung, sondern etwas ganz Besonderes. Seit geraumer Zeit bewohnen nämlich zwei Dohlenpärchen den Kirchturm unserer Gemeinde. Im  Glockenturm, direkt unter den Glocken wurde vor einem Jahr  vielfältiges Gezwitscher und überall in Öffnungen kleine Zweige entdeckt. Schnell wurde klar, dass es sich um Dohlen handelt, die zu den intelligentesten Vögeln überhaupt zählen. Vier Jungvögel konnten damals gesichtet werden.

Allerdings wurde auch schnell die Problematik erkannt: Die Dohlen belegten den Einstieg zum Glockenraum und den Glockenraum selbst. Der NABU Walldorf-Sandhausen half mit Rat und Tat weiter. Genehmigungen bei der „Unteren Naturschutzbehörde“ des Rhein-Neckar-Kreises mussten eingeholt werden und es musste abgewartet werden, bis Ende Juni die jungen Dohlen flügge waren, um sich einen genauen Überblick zu verschaffen. Unterstützung bekam die Kirchengemeinde durch Dohlenexperten Ulli Schmidt, Gründungsmitglied des NABU Sandhausen. Dass diese kleinsten, geschützten, silbrig-schwarzen Rabenvögel hier brüten, sei aus ökologischer Sicht ein gutes Zeichen.

Vier Nester wurden festgestellt, von denen zwei noch mit insgesamt drei Nachzüglern besetzt war. Bis der letzte Jungvogel den Erwachsenen in Feld und Flur gefolgt war, wurden ein paar weitere Wochen gewartet. Auch die Einflüge konnten klar festgestellt werden, die etwas breiteren Öffnungen der Schalllöcher. Auf Anraten der Naturschutzbehörde wurden im Herbst acht Nisthilfen an den erweiterten Öffnungen der Schallbretter angebracht, um den gefährdeten Vögeln geeignete und sichere Nistplätze zu bieten. Technik und Glocken wurden dadurch vor Verunreinigungen geschützt.

Für dieses Naturschutzengagement wurde vor wenigen Tagen durch den 1. Vorsitzenden Wolfgang Högerich vom NABU Sandhausen mit Dohlenexperten Ulli Schmidt der

Evangelischen Kirchengemeinde das besondere Zertifikat „ Lebendiger Kirchturm“ überreicht. Neben der Verleihung des „Grünen Gockel“ im Jahre 2014 reiht sich dieses Zertifikat in die Maßnahmen des Naturschutzes der Kirchengemeinde richtig schön ein.

Und wie geht es jetzt mit den netten Bewohnern im Kirchturm weiter ? Was machen sie im Winter, wie alt werden Dohlen, müssen die Kästen sauber gemacht werden ? Die beiden Experten waren gerne bereit, auf all diese Fragen zu antworten. Bemerkenswert auch die Leidenschaft und Naturliebe  von Ulli Schmidt, der sich seit 67 Jahren um verunglückte Vögel kümmert und seit kurzem mit behördlichen Auflagen und Protokollen kämpfen muss.

In den ersten 1-3 Jahren fliegen die Jungen Richtung Westen, z.B. nach Spanien, wo sie sich, wie junge Menschenkinder, die Welt anschauen. Die Alten sind standorttreu, so Ulli Schmidt, sie sichern ihren Nistplatz durchsetzungsstark z.B. vor Tauben, überwintern aber nicht im Nistkasten. Es kann auch sein, dass sich eine Schleiereule oder ein Turmfalke in den Kirchturm verirrt, so Wolfgang Högerich vom NABU.

Etwa 20 Jahre können diese Rabenvögel alt werden. Und was besonders beeindruckte war, dass die Dohlen ihre Nistkästen selber sauber halten, quasi pieksauber. Bewohner, die man somit doch gerne hat.

So ein Zertifikat zu erhalten bedeutet natürlich nicht, die Hände in den Schoß zu legen.

Wie Sigrid Beck von der Ev. Kirchengemeinde betonte, muss jährlich ein Bericht, stets nach der Brutzeit, über die Bewohner im Kirchturm und eine fachkundige Beurteilung an die Untere Naturschutzbehörde gegeben werden. Das will man gerne tun in der Hoffnung, dass sich mit den Jahren eine ganze Kolonie Dohlen im Neulußheimer Kirchturm ansiedelt. Die Voraussetzungen dafür hat die Ev. Kirchengemeinde geschaffen. Die Dohlen hingegen genießen weiterhin im Kirchturm den herrlichsten Blick über Neulußheim und sind dem Himmel und dem göttlichen Segen ein Stückchen näher.

rhw

Bild (Hettwer) v.l.n.r.: Josef Schellenberger, Sigrid Beck, Wolfgang Högerich, 1. Vors. NABU Sandhausen, Dohlenexperte Ulli Schmidt und 2. Vors. NABU, Christoph Diez sowie Gemeindediakon Jascha Richter vor der Evangelischen Kirche