Joanna Notheis ist die erste Vikarin in der evangelischen Kirchengemeinde Neulußheim. Am 1. März tritt die 29-Jährige ihren Dienst an. Im Interview mit Christian Treptow spricht sie über ihre Eindrücke von Gemeinde und Kirchengemeinde, warum sie sich für die Arbeit in der Kirche entschieden hat, das Fehlen von Gemeinschaft und wie sie in den kommenden zwei Jahren eigene Impulse setzen will.
Frau Notheis, Sie werden die erste Vikarin in der evangelischen Kirchengemeinde Neulußheim. Aufgeregt?
Das trifft’s nicht ganz. Gespannt auf das, was kommt auf jeden Fall. Aufgeregt wahrscheinlich erst dann, wenn ich höre, was alles auf mich zukommt. (lacht)
Haben Sie schon ein Eindruck davon bekommen, was das alles sein wird?
Ja. Ich hatte schon ein paar sehr nette Gespräche mit Frau Garben. Und man weiß ja auch, was der Pfarrberuf so mit sich bringt. Ich habe die Gemeinde schon ein bisschen über die Online-Gottesdienste kennengelernt und mir auch schon die Homepage angeschaut. Der erste Eindruck: Das ist alles total bunt und jung. Das fängt beim Kirchengemeinderat an, eine tolle Truppe mit einer guten Mischung. Der erste Eindruck, bei allem, was ich mir angeschaut habe, war sehr sympathisch.
Auf was freuen Sie sich denn am meisten?
Auf die Arbeit mit den Konfirmanden und den Religionsunterricht in der Schule. Da kenne ich auch schon meine Stärken und kann in etwa einschätzen, wie ich mich zurechtfinden werde. Und ich freue mich auch auf Taufen und Trauungen. Das habe ich noch nie selbst gemacht. Da war ich immer nur Zuschauer. Vor Beerdigungen habe ich noch sehr großen Respekt. Aber die gehören dazu, und ich weiß, dass ich das mithilfe einer guten Mentorin gut meistern werde. Ich weiß aber auch, dass es eine Herausforderung sein wird, weil ich ein sehr emotionaler Mensch bin.
Wo sehen Sie denn Ihre Stärken und Schwächen?
Eine Stärke ist definitiv das Predigen. Das durfte ich schon ein paar Mal in meiner alten Gemeinde in Graben-Neudorf, vor allem in Jugendgottesdiensten, ausprobieren. Predigten vorbereiten und halten mache ich auch sehr gerne. Andere Leute beschreiben mich oft als extrovertiert, aber ohne aufdringlich zu sein. Das klingt ja auch schon mal ganz gut. (lacht) Es liegt mir, auf Menschen zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Eine Schwäche ist, dass ich mich nur schwer rausnehmen kann. Eine große Herausforderung wird daher sein, die Zeit für meine Familie und mich nicht zu verlieren, da man im Pfarrberuf nicht die typische 40-Stunden-Woche hat. Man muss die Balance zwischen Beruf und Privatleben finden.
Wird das am Anfang vielleicht die große Herausforderung?
Ich habe auf jeden Fall Respekt davor. Da hinterfrage ich mich auch immer noch, ob der Pfarrberuf auch wirklich zu mir als Person passt. Ich bin gerne im Gespräch mit Menschen, unterhalte mich gerne auch mal auf der Straße oder im Supermarkt. Ich merke aber auch, dass ich gerne Freizeit mit meinem Mann und mit unserem Hund habe. Die Balance zwischen beiden zu finden, bringt der Beruf mit sich. Das werde ich im Vikariat ausprobieren können.
Trotzdem haben Sie sich für den Ausbildungsberuf entschieden. Warum Karriere in der Kirche?
Das war ganz lange überhaupt nicht meine Berufsvorstellung. Ich wollte tatsächlich ursprünglich Tierärztin werden, weil ich Tiere mag. Dann habe ich gemerkt: Menschen sind auch nicht so doof. (lacht) Dann wollte ich Lehrerin werden und habe auch drei Semester an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe studiert. Ich habe aber gemerkt, dass mich die fachlichen Inhalte – mit Ausnahme von evangelischer Religion – gar nicht so interessiert haben. Da habe ich mich dann schon gefragt, wie ich das den Kindern beibringen soll, wenn mein Interesse nicht so groß ist. Dann habe ich gedacht: Warum nicht den Fuß bei Theologie ins Wasser halten? Ich wollte erst mal schauen, das Grundstudium schaffen. Aber es lief so gut. Da habe ich entschieden, mich dort weiter auszuprobieren, bis ich an dem Punkt ankomme, an dem ich sagen kann, dass der Beruf zu 100 Prozent passt. Das lasse ich jetzt auf mich zukommen.
Welche Erfahrungen haben Sie denn schon in der Gemeindearbeit?
Ich bin ein CVJM-Kind und habe dadurch schon oft Predigten in Jugendgottesdiensten gehalten. Ich habe beim CVJM in Graben-Neudorf sehr gerne mitgearbeitet, war erst Co-Leiterin von Konfirmandengruppen, war in der Leitung bei Jugendfreizeiten tätig, habe Andachten übernommen. Da habe ich gemerkt, dass mich auch die Arbeit mit Erwachsenen interessiert und habe im CVJM Baden in verschiedenen Bereichen mitgearbeitet. Im Zuge des PH-Studiums habe ich auch schon ein Orientierungspraktikum an einer Grundschule absolviert, hab da auch schon unterrichtet.
Dann muss man Ihnen ja gar nicht mehr so viel beibringen.
(lacht) Na ja, zum Gottesdienst gehört ja nicht nur die Predigt, sondern auch die Liturgie außenrum. Ich habe erst einen Gottesdienst komplett begleitet. Das wird schon neu. Und jede Gemeinde macht das etwas anders.
Sie wohnen seit Oktober in Neulußheim. Welchen Eindruck haben Sie vom Ort und von der Kirchengemeinde?
Der Ort gefällt uns sehr gut. Wir haben eine sehr schöne Wohnung gefunden. Neulußheim hat in Sachen Restaurants mehr zu bieten als Graben-Neudorf, was wir durch die ganzen Lieferdienste auch gut ausnutzen. (lacht) Es ist aber auch schön, dass wir in 20 Minuten bei der Familie sein können. Von der Kirchengemeinde habe ich bisher nur die Online-Gottesdienste verfolgt, noch keine Präsenz-Gottesdienste. Auch da ist mein Eindruck, dass es anders ist, als das, was ich bisher kennengelernt habe. Aber anders heißt nicht besser oder schlechter. Ich freue mich, das auch kennenzulernen und daran mitzuarbeiten.
Wie wollen Sie Ihre Rolle als Vikarin in der Kirchengemeinde ausfüllen?
Ganz klar in der Konfirmandenarbeit. Dann lässt der Vikariatsplan viel Schule zu. Ich würde gerne viel beim Organisatorischen im Hintergrund mitbekommen. Ich glaube, dass mir das Gestalten von Gottesdiensten liegen wird. Aber die Organisation dahinter ist mir noch nicht so bewusst. Ich will lernen, mich da zu organisieren und die Möglichkeiten nutzen, die die neuen Medien bieten.
Können Sie sich vorstellen, eigene Impulse zu setzen?
Ich will gar nicht zu früh meine eigene Unterschrift druntersetzen. Ich würde in den ersten Wochen gerne aktiv beobachten. Man bildet sich ja eine Meinung. Frau Garben hat schon gesagt, dass sie für Feedback offen ist. Ich freue mich drauf, zu hören, warum werden die Dinge gemacht, wie sie gemacht werden. Und dann kann man schauen, wo man eventuell etwas verändern kann? Ich glaube, dass man in zwei Jahren Vikariat Akzente setzen kann, die bleiben. Ich hoffe, dass es in zwei Jahren, wenn ich die Gemeinde verlasse, Menschen gibt, die sagen: Das hat uns Frau Notheis mitgebracht und es war schön.
Was hat Ihnen im Studium am besten gefallen?
Das Fach Praktische Theologie. Das deckt alles ab, was quasi das tägliche Brot eines Pfarrers ist. Ich mag Theorie nicht so sehr. Ich mag lieber Praxis. Von daher habe ich mir mit Fächern schwer getan, die ich eher als trocken empfunden habe. Was mir vor allem gefallen hat: An der Uni in Heidelberg, wo ich studiert habe, war die Meinungsverschiedenheit groß, ohne dass man danach im Bösen auseinandergegangen ist. Das waren immer sehr fruchtbare Diskussionen. Da war nichts dabei wo man gedacht hat, man muss vom Glauben abfallen. Man hat viel hinterfragt und viel Neues kennengelernt.
Vom Glauben abfallen ist ein gutes Stichwort. Das machen leider immer mehr Leute. Es gibt viele Konfessionslose. Sehen Sie es auch als Ihre Aufgabe, die Leute für das Christentum zu begeistern?
Ich glaube, ich möchte die Leute nicht für das Christentum begeistern. Ich will sie auch gar nicht für die Institution Kirche begeistern. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Leute Gott wieder neu kennenlernen. Wer ist Gott, von dem wir reden? Wenn wir als Pfarrer Gottesdienste halten, dann wollen wir, dass die Leute Jesus kennenlernen, dass wir Zeugnis sein können von dem, was wir erfahren haben, was die Bibel uns mitgibt, aber auch für die Sachen, die die Gesellschaft bewegen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Dinge, die die Gesellschaft bewegen, mit unserem Glaubensleben vereinen. Die Verkündiger tun sich aus meiner Sicht aktuell etwas schwer damit, zu sehen, dass die Menschen immer sagen: Der Lebensstil und die Bibel passen nicht mehr zusammen. Wichtig ist, dass wir schauen, wo der Mensch, der uns zuhört, herkommt. Was kann der mit meiner Predigt anfangen? Und wo will er danach hin damit? Mir ist klar, dass meine Predigt nicht immer für jeden zu 100 Prozent super sein wird. Aber mir ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass das, was die Bibel berichtet, heute immer noch etwas mit uns zu tun hat. Auch wenn unsere Lebensumstände anders sind als zu biblischer Zeit. Ich will schaffen, dass die Menschen sehen, es ist nicht der Pfarrer, der uns einlädt, sondern die Gemeinschaft vor Gott.
Geht es auch um neue Blickwinkel, neue Interpretationen?
Ja. Ich bin im Glauben kritisch aufgewachsen. Bis 13, 14 hatte ich mit der Kirche nicht viele Berührungspunkte. In der Konfirmandenzeit habe ich gemerkt, dass das, was in der Bibel steht, etwas Persönliches ist. Man darf die Bibel in die Hand nehmen, lesen und hinterfragen. Was ist die persönliche Botschaft, die Gott für mich hat. Und das darf ich anderen weitererzählen. Ohne sagen zu wollen, dass das das Richtige ist. So habe ich es erfahren, und ich lade euch ein, es auch zu erfahren. Wenn es die Kirche wieder schafft, den Leuten Mut zu machen und die Dinge selbst durchzudenken, selbst Erfahrungen zuzulassen, dann wird die Begegnung mit Gott wieder eine gesellschaftsfähige. Aber das ist ein Prozess, in dem sich die Kirche befindet. Eine Musterlösung gibt es dafür aber noch nicht.
Sie kommen mitten in der Pandemie in die Kirchengemeinde. Wie sehen Sie die Rolle der Kirche in der Zeit von Corona? Haben Sie Angst, dass, wenn alles wieder normal ist, keiner mehr in die Kirche geht?
Nein, die Angst habe ich gar nicht. Ich glaube, sobald die Kirchen wieder ihre Türen in der gewohnten Form öffnen dürfen, kommen die Leute wieder. Wenn nicht sogar mehr Leute kommen als zuvor. Ich glaube nicht, dass es die Menschen abschreckt. Ich glaube eher, dass es die Menschen zurück in die Gemeinschaft zieht. Das große Problem an Corona ist, dass die Menschen alleine daheim sitzen müssen, dass Gemeinschaft so nicht möglich ist, wie wir sie eigentlich leben möchten. Das soziale Dasein, das jeder Mensch in sich hat, hat gerade Pause. Dass man mit anderen Menschen zusammen in der Kirchenbank sitzt, das bringt ein Gemeinschaftsgefühl, das zurzeit vermisst wird. Von daher glaube ich nicht, dass es uns an Menschen fehlt, wenn wir die Türen wieder öffnen. Allerdings müssen wir es rechtzeitig tun. Wenn eine Gemeinde angstbehaftet ist und die Türen lange zubleiben, dann suchen sich die Menschen die offenen Türen, um das Gemeinschaftsgefühl wieder zu erleben. Ich hoffe, dass jede Gemeinde ihren Moment findet, die Tür wieder zu öffnen.
Zur Person
Joanna Notheis wurde in Karlsruhe geboren und ist in Graben-Neudorf aufgewachsen. Seit Oktober wohnt sie mit ihrem Mann Jens und Mischlingshund Pringles in Neulußheim.
Interview: Christian Treptow